1230 INSELN – EIN TÖRNREVIER DER SUPERLATIVE
Der gefürcheste Wind der kroatischen Küste, die Bora, ist oft beschrieben worden. Dem Dichter Danko Andelinocic erschien sie so „Mit geschwellter Brust, kraftsprühendenFlügeln, angeführt von Schlangenknäulen, stürmt die Bora die steilen Hänge hinab – vorbei an grauem kahlen Fels, hinunter zum Meer…“ Gefährlich ist die Bora vor allem durch ihr überfallartiges Auftreten, ihre orkanartigen Böen. Segler, die den Himmel über der Küste nicht ständig auf verdächtige Wolkenformationen hin kontrollieren, bekommen die Folgen schnell zu spüren.
So wie wir, als einmal eine Flaute unsere Zehn- Meter- Yacht stundenlang vor der istrischen Küste mit schlaffen Segeln lahmlegte und uns unaufmerksam machte. Plötzlich ist sie da, die Bora. Aus eben noch heiterem Himmel, aus dunklen, sich verquirlenden Wolken, die von Land her über See stürmen, schießt sie herab, peitscht das Wasser und fällt mit unbändiger Kraft über uns her, zerrt und rüttelt am Schiff, daß ich einen Augenblick lang fürchte, es könnte der Wucht der Windstöße nicht standhalten.
Das Vorsegel fliegt in Fetzen davon, und erst als wir mit einiger Mühe das Großsegel geborgen haben, ist die Yacht wieder unter Kontrolle. Einen unserer vier Mann starken Crew hat es bei dem Bordüberfall böse erwischt. Ihm ist der Großbaum an den Kopf geschlagen. Blutüberströmt hockt er noch im Cockpit, als draußen die Sonne längst wieder vom fast wolkenlosen Himmel brennt.
Der ganze Spuk hat nicht viel länger als eine Viertelstunde gedauert. Dutzende von Yachten im weiten Umkreis ziehen wieder mit gebähten Spinnakern durch friedliches Wasser dahin. Wir ändern unseren Kurs, um den Verletzten zu versorgen. Der nächste Hafen ist Rovinj. Dort wird im Krankenhaus die Platzwunde am Kopf von einer resoluten Ärtzin mit sieben Stichen genäht. Der turbanähnliche Verband unseren Gefährten ist uns bis zum Ende des Törns eindrucksvolle Mahnung, vor der Bora auf der Hut zu sein.
Rovini ist der schönste Küstenort der istrischen Halbinsel. Hier drängen sich die Häuser an den Wassersaum der weiten Hafenbucht, und hier wird deutlich, wie beliebt das Segeln vor der jugoslawischen Küste geworden ist. Noch vor gar nicht langer Zeit mußten sich Segler und Motorbootfahrer, wollten sie in Rovinj festmachen, in den bereits für die Fischerboote engen Gemeindehafen zwängen. Toiletten und Waschräume gab es nicht – wozu auch, die Fischer waren am Ort zu Hause. Jetzt haben die Touristen zur See ihre eigene, hypermoderne Marina. Die vom Adriatic Club Yugoslavia (ACY) errichtete Anlage ist Teil eines großen Marina- Entwicklungsprogramms, das Europas Bootfahrer als lukrative special group auf dem hart umkämpften Urlaubsmarkt anziehen soll. Die Rechnung ist aufgegangen.
Kroatiens verschlungene, an Klippen, Buchten und Stränden reiche Küste mit nicht weniger als 1230 vorgelagerten Inseln, war schon immer ein bevorzugtes Revier der Deutschen, heute aber ist sie fraglos die Nummer eins bei Bootfahrerh im Mittelmeerraum.
Das Geschäft floriert – am Devisenzufluß ins Land hat der Seetourismus bereits einen Anteil von zwanzig Prozent. Urlaubercrews, die diese einmalig schöne und abwechslungsreiche Segellandschaft befahren, haben freie Auswahl unter Zehntausend Bootsplätzen, die sich auf 34 Sportsboothäfen der gesamten Küste verteilen; mit Inseln und Einschnitten sind das mehr als sechstausend Kilometer. Das Hafennetz reicht von Izola im Norden bis Bar im Süden. Die weitaus meisten Häfen hat die Halbinsel Istrien. Allein in Istrien, auf 41 Kilometern Küstenlänge, drängen sich 13 nach dem neuesten Stand der Technik eingerichtete Marinas mit über 3700 Liegeplätzen. Am nächsten Morgen geht es nach Süden. Im Kielwasser schon weit zurück liegt Piran, einer der ganzjährig geöffneten ports of entry.
Für die meisten Yachtcrews, die wie wir von Italien herüberkommen, ist das venezianisch geprägte Hafenstädtchen das Tor nach Jugoslawien. Die Behörden haben die Einreiseformalitäten auf ein Mindestmaß beschränkt. Man will hier den Urlaubsseglern gegenüber kulanter sein als der konkurrierende Tourismusriese Italien. Wichtigste Dokument ist das permint of navigation, ohne das niemand in Kroatischen Gewässern herumschippern darf.
Hat man es, kann man ein ganzes Kalenderjahr lang in kroatischen Gewässern kreuzen. Wir wollen nach Pula. In der Ferne gleiten die Brijuni- Inseln vorüber, bis zum Tod Titos im Jahr 1980 dessen Sommerresidenz. Inzwischen wurden die bis dahin gesperrten Eilande in einen Nationalpark umgewandelt, und der Strom der Besucher reißt nicht ab. Sie alle wollen die historischen Stätten besichtigen, die subtropische Vegetation bewundern und den von Tito angelegten Safaripark mit bosnischen Bären, mit Tigern, Zebras und anderen Exoten.
Der Acy will auf Brijuni eine Marina der Luxusklasse bauen. Wenig später kommen die Hafenanlangen von Pula in Sicht, ebenfalls ein stark frequentierter port of entry. Früher ankerte hier die k.u.k.Flotte.
Höher als die Werftanlangen erhebt sich das alte römische Amphitheater, dessen gewaltiges Rund 23000 Menschen Platz bietet. Am Abend wird Verdis „Rigoletto“ aufgeführt. Am Morgen Einkaufen im Duty- free- Shop und dann weiter nach Süden. Ein West mit drei bis vier Windstärken nimmt uns in Empfang, als wir aus Pulas weitläufigem Hafengebiet herauskommen und die offene See erreichen. Wir fliegen beschwingt unter Segel dahin: Die Küste in der Ferne bleibt als ein vom Meer umschäumtes Landmassiv sichtbar. Hinter uns versinkt langsam Istrien. Neue Landschaften wachsen aus dem Wasser, bizarr geformte Inseln und Felsformationen. Kein Wunder, daß dieses Segelrevier so beliebt ist: Kein Küstenstrich des Mittelmeeres ist so abwechslungsreich. Wir queren die Kvarner- Bucht, das Hauptfahrwasser für den wichtigen Handelshafaen Rijeka.